Brief aus Mekka
In Mekka angekommen schrieb Malcolm über seine ersten Eindrücke über den höchsten Pilgerort der Muslime an seine Schwestern und Brüder in New York. Hier sein Brief aus Mekka ohne Kürzung:
“Da waren Zehntausende von Pilgern aus aller Herren Länder. Sie hatten alle Farben, von blauäugigen Blonden bis zu tiefschwarzen Afrikanern. Aber wir alle nahmen an demselben Ritual teil, entfalteten einen einheitlichen Geist und eine Brüderlichkeit, von der ich nach meinen Erfahrungen in Amerika nie geglaubt hätte, daß sie unter Weißen und Nicht-Weißen existieren könnte… Amerika muß unbedingt den Islam verstehen lernen, denn dies ist die Religion, die das Rassenproblem ihrer Gesellschaft ausgerottet hat. Während meiner ganzen Reisen durch die muslimische Welt habe ich viele Leute getroffen, mit ihnen gesprochen und sogar gegessen, die in Amerika als weiß angesehen würden – aber die Eigenschaften der “Weißen” waren aus ihren Köpfen durch die Religion des Islam beseitigt. Ich habe nie zuvor so eine ernsthafte und ehrliche Brüderlichkeit von Menschen aller Farben zusammen gesehen, ungeachtet ihrer Farbe.”
“Niemals zuvor war ich Zeuge einer so ernsthaften Gastfreundschaft und eines so überwältigenden Geistes wahrer Brüderlichkeit, die von Menschen aller Farben und Rassen hier in diesem alten, heiligen Land, dem Heim Abrahams, Muhammads und all der anderen Propheten der Heiligen Schriften praktiziert werden. Die letzte Woche verbrachte ich ganz und gar sprachlos und verzaubert von der Dankbarkeit, die diese Menschen aller Farben um mich herum ausstrahlten.
“Ich hatte den Segen erfahren, die Heilige Stadt Mekka besuchen zu dürfen, ich habe meine sieben Umrundungen um die Kaaba vollzogen, geführt von einem Mutawaf mit dem Namen Muhammad, ich trank Wasser aus der Quelle Zamzam. Ich eilte siebenmal zwischen den beiden Hügeln As-Safa und Al-Marwa hin und her. Ich habe in der alten Stadt Mina gebetet und ich habe auf dem Berg Arafat gebetet.
“Ihr werdet geschockt sein, diese Worte von mir zu hören. Aber auf dieser Pilgerreise, hat mich das, was ich gesehen und erfahren habe, gezwungen, viele meiner früheren Denkmuster neu zu ordnen und einige meiner früheren Schlussfolgerungen über Bord zu werfen. Das war nicht allzu schwer für mich. Trotz meiner festen Überzeugungen bin ich immer ein Mann geblieben, der versucht, den Tatsachen ins Auge zu sehen und die Realität des Lebens als neue Erfahrung und neues Wissen zu akzeptierten und zu entfalten. Ich habe mir immer ein offenes Bewusstsein bewahrt, das für die Flexibilität notwendig ist, die mit einer jeglichen Form der intelligenten Suche nach der Wahrheit Hand in Hand gehen muss.
“Während der letzten elf Tage hier in der muslimischen Welt habe ich mit muslimischen Brüdern, deren Augen das blaueste Blau, deren Haare das blondeste Blond und deren Haut das weißeste Weiß besaßen, von demselben Teller gegessen, aus demselben Glas getrunken und auf derselben Matte geschlafen, während wir zu demselben Gott beteten. Und in den Worten und Taten dieser weißen Muslime fühlte ich dieselbe Ernsthaftigkeit, die ich unter den schwarzen afrikanischen Muslimen Nigerias, Sudans und Ghanas verspürte.
“Wir waren wirklich alle gleich (wie Brüder) – denn ihr Glaube an einen Gott hat das Weiße aus ihrem Bewusstsein, das Weiße aus ihrem Verhalten und das Weiße aus ihrer Einstellung verbannt.
“Daran konnte ich erkennen, dass vielleicht, wenn die weißen Amerikaner die Einheit Gottes akzeptieren könnten, dass sie dann vielleicht auch die Einheit der Menschheit wirklich akzeptierten könnten – und davon ablassen würden, andere anhand ihres “Farbunterschiedes” zu messen, zu behindern und zu schädigen.
“Mit dem Rassismus, der Amerika wie ein unheilbares Krebsgeschwür plagt, sollte das sogenannte ´christliche´, weiße, amerikanische Herz empfänglicher für eine bewiesene Lösung eines derart zerstörerischen Problems sein. Vielleicht könnte es für Amerika gerade noch rechtzeitig sein, um das Land vor einer drohenden Katastrophe zu bewahren – der Rassismus brachte Deutschland dieselbe Zerstörung und hat vielleicht die Deutschen selbst zerstört.
“Jede Stunde hier in diesem heiligen Land befähigt mich zu immer größer werdenden spirituellen Einblicken in das, was in Amerika zwischen schwarz und weiß passiert. Der amerikanische Negro kann nie für seine rassistischen Feindlichkeiten beschuldigt werden – er reagiert lediglich auf vierhundert Jahre bewussten Rassismus durch die amerikamischen Weißen. Aber da der Rassismus Amerika auf den Weg des Selbstmord führt, glaube ich anhand der Erfahrung, die ich mit ihnen hatte, dass die Weißen der jüngeren Generation in den Colleges und Universitäten die Handschrift auf der Mauer lesen werden, und viele von ihnen werden den spirituellen Weg der Wahrheit einschlagen – den einzigen Weg, der Amerika noch bleibt, um die Katastrophe abzuwenden, zu dem der Rassismus unvermeitlich führen muss.
“Niemals wurde ich so hoch geehrt. Niemals wurde ich veranlasst, mich demütiger und wertloser zu fühlen. Wer würde den Segen glauben, mit dem ein amerikanischer Negro überhäuft worden ist? Vor ein paar Nächten hat ein Mann, der in Amerika als weißer Mann bezeichnet würde, ein Diplomat der United Nations, ein Botschafter, ein Gefährte von Königen, mir seine Hotel-Suite, sein Bett überlassen. Niemals hätte ich auch nur zu Träumen gewagt, dass mir je solche Ehren zuteil werden würden – Ehren, die in Amerika einem König gebühren – keinem Negro.
“Alles Lob gebührt Gott, dem Herrn der Welten.”